Freitag, 22. Dezember 2006

Anarchopessimismus

Es ist deprimierend. Um so mehr man glaubt, die heutigen Herrschaftsverhältnisse und ihre Reproduktion verstanden zu haben, um so pessimister wird man (werde ich) bezüglich ihrer Überwindung. Unsere heutige Gesellschaft besitzt mannigfaltige Möglichkeiten, das Aufkommen eines "revolutionären Bewusstseins" zu verhindern.

Doch zuerst, was ist "unsere heutige Gesellschaft", und ich fasse mich kurz...

Ich will vorerst drei Ebenen unterscheiden, die unsere heutige Gesellschaft ausmachen:

1. Die ökonomische Ebene, der "Unterbau" in Märxchens Terminologie. Sie bestimmt einen Grossteil unserer Handlungsmöglichkeiten. Je nachdem, was für eine Position wir in den Produktionsverhältnissen einnehmen, haben wir einen grösseren oder kleineren Handlungsspielraum. Grob gesagt bestimmt die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht meist über ein ganzes Leben lang zumindest den Rahmen, in welchem wir die bürgerlichen Freiheiten wirklich ausleben können. Hier finden sich die ökonomischen Freiheiten.

2. Die "Kultur", ein Begriff ohne Ende, Entschuldigung dafür. Kunst, Literatur, ästhetische Funktion, Genuss und Reiz der Sinne, Religion, kulturelle Identität und ein ganz grosser Haufen anderer Wörter lateinischen oder griechischen Urpsrungs passen in diese Kategorie. Obwohl die bei Punkt eins erwähnten Rahmenbedingungen auch diese Ebene mitbestimmen, so herrscht zwischen ihnen doch ein dialektisches Verhältnis, sie wirken aufeinander und gegeneinander. Entgegen einiger marxistischer Denker sehe ich die Rolle der eigenen Gesetze dieser Ebene als wichtig an. Die Entwicklung der Produktivkräfte und die Schichtung der Gesellschaft in antagonistische Klassen sind nicht ausreichend zur Erklärung der Produktion und Konsumption von Kultur. Ein Arbeiter der Postmoderne erfreut sich an antiken Komödien und der Adlige Tolstoj schreibt gegen seine Klasse. Aus moralischen, christlichen Gründen (Pfui! Dieses Wort! ;-)).

3. Politik/Institutionen. Ebenso wie die Kultur hat auch die Politik einen ihr eigenen Charakter, welcher von ökonomischen Grundlagen unabhängige Gesetze produziert. Nicht gänzlich unabhängig, denn auch die Politik und ihre Institutionen interferieren dialektisch mit dem Unterbau und der Kultur. Institutionen der Politik sind die Mittel der modernen Nationalstaaten und ihrer supranationalen Organisationen (EU, ASEAN...), einen Rahmen für die ökonomische Entwicklung zu setzen, genau so, wie diese auch einen Rahmen für die Entwicklung der politischen Institutionen bietet. In Russland kann ein Grossunternehmer ohne politische Macht in seinem Rücken nicht erfolgreich wirtschaften (siehe der Gegensatz vom inhaftierten Chodorkowskij zum "freien" Oligarchen Abramowitsch). Ein funktionierender Rechtsstaat, am besten garantiert durch eine gewaltengeteilte Demokratie, befördert die Entwicklung des Kapitalismus, wohingegen der Kapitalismus mit seiner einzigartigen Entwicklung der Produktivkräfte und eines gehobeneren Wohlstandes grösserer Gesellschaftteile zur Entwicklung der Demokratie beitrug. Es ist ein zweigleisiger Prozess, wobei beide Enden sowohl über gemeinsame Interaktionen, als auch über ihnen eigene Entwicklungs- und Bewegungsgesetze verfügen.


Schaue ich mir diese drei Ebenen an, so scheinen sie perfekt miteinander zu interagieren. Sie ermöglichen das Funktionieren eines modernen, liberalen, demokratischen Rechtsstaates (nur keine Zweifel, das war NEGATIV konnotiert, trotz der vielen Adjektive!).
Die Massenproduktion beziehungsweise die in ihrem Schlepptau kriechende Massenkultur hat zu einer Verschleierung des "Klassenbewusstseins" geführt. Mensch definiert sich über (Massen-)Konsumgüter, ethnische Identität und Staatszugehörigkeit viel eher als über seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten (ausgenutzten) sozialen Schicht. Und die demokratische Institutionen sichern das Überleben durch Aggregation von Meinung und Gegenmeinugn in jeweiligen politischen Parteien. Es gibt religiöse Konflikte - Schwupps! Die Katholisch-Konservatifen gründen eine Partei und werden in die Politik integriert. Es gibt soziale Konflikte - Schwupps! Sozialdemokratische Arbeiterparteien gehen in Parlament und Regierung.
ES LEBE DER SOZIALE FRIEDEN!!!

Eben, wer aufmerksam liest, sieht die Tendenz zum Pessimismus, oder?



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Montag, 11. Dezember 2006

Marxismus

Dies ist wie die ersten vier Posts wieder einmal ein Denkanstoss, ein Anfang eines späteren ausführlicheren Posts, komme er oder nicht.

Marxismus ist für mich eine Methode. Keine exakte Wissenschaft und kein politisches Programm. Anarchismus und Marxismus ergänzen einander, komplementieren sich. Ich beackere diese Behauptung mal auf drei Ebenen:
1. Ökonomie
2. Politik
3. Moral

1. Der Marxismus bietet eine ausgezeichnete Grundlage zur Erkenntnis der ökonomischen Abhängigkeiten und Tendenzen in der ökonomischen Entwicklung. Er stösst dort an seine Grenzen, wo man nach konkreten, fassbaren und nachprüfbaren Voraussagen sucht oder dort, wo der Kapitalismus mit Politik, Ideologie, Subjektivität, dem "Überbau" allgemein interferiert.

Obwohl der Marxismus eine gute Analyse kapitalistischer Entwicklung bietet, Akkumulation und Krise erklärt und auf Grund der Arbeitswerttheorie eine gute Grundlage dafür liefert, ist er kein Werkzeug zur Voraussage konkreter ökonomischer Entwicklung, Krisen oder gar Revolutionen. Marx selbst hat jede zweite Woche eine neue Revolution hinter dem Zaum gerochen.

Noch tendenziöser und geradezu fahrlässig werden Marxisten oft, wenn sie dann fordern, der Marxismus, als Wissenschaft solle politische, oder gar ideelle Entwicklungen erklären können. Die dialektischen Relationen zwischen materiellem Unterbau und ideellem Überbau der Gesellschaft werden oft vulgärmarxistisch, beziehungsweise materlialistisch so gedeutet, dass die Entwicklung der Produktionsmittel und der Produktionsverhältnisse den Gang der Politik und der politischen Ideen bestimmen würde. Dass das nicht der Fall ist, zeigt doch schon die Zähigkeit der Demokratie und die völlig unpolitische oder unrevolutionäre Stimmung unter den Arbeitern unserer Zeit, obwohl doch das Kapital langsam genug akkumuliert sein sollte.

Am besten sieht man diese Unzulänglichkeit der marxistischen Lehre jedoch dort, wo "überbauliche" Phänomene aus marxistischer Sicht erläutert werden. Der Marxist scheitert oft an der Subjektivität. Am Menschen, der sich eben nicht nur durch seine Arbeit definieren lässt und am naturalistischen Fehlschluss, dass ein Bewegungsgesetz, dass für eine grosse Masse gilt, nicht für den Teil dieser Masse gelten kann. Und schliesslich und endlich sind wir alle doch noch auf der Suche nach dem Arbeiter/Ausgebeutetenbewusstsein, nicht wahr? Die Klasse AN sich existiert, so sagts die Theorie, die Klasse FÜR sich, und das sagt die Erfahrung existiert nicht. Wieso? Spannende Frage nicht? Die Demokratie machts möglich!!!



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