Dienstag, 11. September 2007

Einige Gedanken über Venezuela

In letzter Zeit häufen sich in jeglichen Medien Artikel und Kommentare über Venezuelas Entwicklung seit dem Auftreten Hugo Chavez'. Linke und rechte kommerzielle Medien scheinen bei ihren Lesern reges Interesse an solchen Texten zu vermuten.

Hinter der ganzen Aufregung steckt die lustige Idee Chavez', seine zweite Amtszeit mit dem Titel "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zu behaften. Das Schöne für uns ist, dass wir somit damit rechnen können, zumindest jedes Jahrhundert mit einem neuen Sozialismus beglückt zu werden. Die Krux liegt nun, für aufmerksame Leser, im Passiv des letzten Satzes. "Beglückt zu werden". Jemand anders tut also die ganze Arbeit für uns und erdenkt sich jedes Jahrhundert ein neues theoretisches Konstrukt, mit Hilfe dessen (und autoritärer Machtausübung... ach, diese Bemerkung kommt zu früh im Artikel!) wir (also er) für Gerechtigkeit und gegen Imperialismus kämpfen können.

Chavez greifft in Rethorik wie in Taten auf altbekannte Rezepte zurück und garniert diese dann mit "modernen" Elementen. Ich gehe das Ganze in zwei Schritten an. Zuerst die Rethorik, dann die Taten.
Rethorik: "Imperialismus", "Sozialismus", "Gerechtigkeit", wer liebt diese schönen Worte nicht. Chavez hat sie gepachtet. Jetzt sogar für mehr als zwei Amtszeiten und mit Unterstützung des vorherigen Besitzers Fidel Castro, der zur Zeit nicht zu erreichen ist. Wie oft in der Politik greifft Chavez auf eine einfache integrativ-ausschliessende Polemik zurück. Auf der einen Seite konstruiert er das Böse: die USA, die "Imperialisten", die Oligarchen im eigenen Lande. Auf der anderen Seite die Guten: Venezuela, Bolivar, die sozialistische Einheitspartei, das "Volk" und andere "Antiimperialisten"(erstens ist es langsam nervend, soviel Anführungs- und Schlusszeichen zu setzen und zweitens finde ich es anmassend, Ahmadinejad und Gaddhafi als Antiimps zu bezeichnen, ich muss es jedoch tun, um Chavez' Redesnweise treu zu bleiben, sorry). Anahnd solcher Schemata ist es einfach, politische Geschehnisse auf simple Phrasen herunterzudreschen und als wissenschaftlich zu verkaufen. Vorbilder findet man in 100 Jahren wissenschaftlichem Sozialismus.
Soweit also nichts neues, das sich gleich als "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" verkaufen liesse.
Taten: Es gibt unbestritten einiges, womit Chavez einer grösseren Anzahl Menschen in Venezuela geholfen hat. Soziale Missionen, mit Petrodollars bezahlte kubanische Ärzte, bolivarische Universitäten für die Armen. Die Integration armer Bevölkerungskreise in das politische System Venezuelas wurde nicht nur mit der Partei Chavez' verstärkt, sondern auch durch mehr Rechte für indigene Völker und die zarte Einführung einer Gemeindeautonomie. Soweit in groben Zügen, was in der linken Öffentlichkeit (nicht so bei mir) durchwegs positiv aufgenommen wird.
Negativer fallen die Urteile, je nach Betrachter über folgende Dinge aus: Beschneidung der Medienvielfalt, einseitig ausgerichtete Wirtschaft mit grosser Abhängigkeit vom Erdölabnehmer und Bösewicht USA, politischer Werdegang als Putschoffizier, Änderung der Verfassung zwecks Verlängerung des Mandats Chavez', Gängelung der Gewerkschaften, Ignoranz bis Unterdrückung gegenüber Fabrikselbstverwaltungen von Arbeitern.

Was stört mich nun so ungeheurlich, dass ich mir die Mühe mache, zu schreiben?

Im Vordergrund steht für mich die Tatsache, dass ein Militäroffizier daherkommt und erklärt, er habe vor, "seinem" Land den Sozialismus zu bringen. Sozialismus wird nciht von Führern gemacht, sondern von den Arbeitern, Angestellten, Erniedrigten und Beleidigten selbst. Wohin führt eine sozialistische Einheitspartei, wohin führt die Vereinnahme von grossen Unternehmen durch den Staat? Wohin die Gängelung von Medien und Arbeitnehmerorganisationen? Das hatten wir alles schon! DDR, UdSSR, China lassen grüssen. In solcherweise organisierten Gesellschaften gibt es keine Eigeninitiative der Arbeitnehmer, keine Selbstregierung oder Sozialismus. Verstaatlichung von Gesellschaft und Wirtschaft führten weder im 20. jahrhundert in den Sozialismus, noch werden sie dies im 21. tun. Die Bolschewisten töteten die revolutionäre Dynamik von 1917 durch ihr blosses Dasein als politische Partei, durch die Einführung einer Regierung (Rat der Volkskommissare), das Verbot anderer sozialistischer Bewegungen und Medien, durch die Nationalisierung der Wirtschaft und durch die Bündelung der Kontrolle der Wirtschaft un der Politik in den Händen weniger. Nicht zuletzt hat auch die Kontrolle des Staates über die Gewerkschaften (von Trotzki vehement gefordert) die Initiative der rebellischen ArbeiterInnen getötet.

Und Chavez glaubt nun, mit einerseits bürgerlich-liberalen Anliegen, wie der Integration aller Bevölkerungsmassen in den (repräsentativ-)demokratischen Prozess, der Förderung von Minderheitenrechten und der sozialen Ausbalancierung des Kapitalismus durch Wohlfahrtsmechanismen sowie durch staatssozialistische und autoritäre Politik den Sozialismus einzuführen. Humbug!


Ein Ausblick in die Zukunft zum Schluss: Chavez' nationalisiert und bürokratisiert zur Zeit immer weitere Teile der venezolanischen Gesellschaft. Sehr geschickt versucht er durch bolivarische Räte und beschränkte Gemeindeautonomie die Leute an der Basis für seine Bewegung zu mobilisieren. Durch die mehr als zweidrittel Mehrheit im Parlament kann er ohne Probleme die Verfassung ändern, wie ja schon getan. Da er auch über eine grössere Strassen-Mobilisationskraft als die Opposition verfügt und es in seiner Macht liegt, die Medien noch weiter zu beschneiden, liegen in naher Zukunft keine Steine in seinem Weg zum "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Schlechte Aussichten also, denn es existieren neben den rechtsliberalen und den Chavez-nahen Gewerkschaften wenig genuin arbeitnehmerische Organisationen, welche dieser Entwicklung wirklich Paroli bieten könnten. Also nix neues im Süden und auf bald!


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