Einst von einem kahlköpfigen Materialisten gestellt, verliert diese Frage nicht an Aktualität für jeden, der an einer tiefschürfenden Veränderung der geselschaftlichen Verhältnisse interessiert ist. Was tun?
Die freie Welt bietet dazu eine Unmenge an Ideen, institutionalisierten Fertigprodukten gleich. "Du willst was ändern?" fragst du. "Wieso machst du nicht Yoga?" wird man dir antworten. Überhaupt, lassen wir zwei fiktive Leute das Thema beredeb, anstatt uns selbst den Mund und die Tasten schmutzig zu machen mit fremder Federn Tinte...
Wir befinden uns in den prächtigen Wandelhallen eines anonymen Parlaments, flauschige Sessel laden dazu ein, bei staatlich verordneter Rauchabstinenz von den Qualen einer langen Sitzung Erholung zu suchen.
Drei der rosa Sessel sind einander gegenüber gestellt, merkwürdige Gestalten füllen den Hohlraum ihrer abgesessenen Sitzflächen. Zur Linken (von mir her betrachtet, von ihnen her - rechts) Hugo, bärbeissiger Oberst, mit verbundener rechter Hand und einer Offiziersuniform, die Gesichtszüge zu einem verkrampften Lächeln verzogen. Ihm gegenüber Joschka, sichtlich begeistert von den Ausführung Hugos, die buschigen Augenbrauen verzückt in die Höhe gezogen, setzt gerade zu einer Antwort an. Der dritten Person im Bunde wenden wir uns zur gegebenen Zeit zu...
Joschka: Du berührst mich. Gross sind deinen Worte. Ein praktischer Marxist, mit guter historischer Analyse, das braucht Russland... nein, Venezuela, nicht? WO sind wir gleich?
Hugo: Venezuela, aber lass mich ausreden... Also, nach ergebenster Revision meiner Annahmen, ich würde eine Revolution machen, kam ich ja eben zum Schluss, es sei historisch materialistisch bewiesen...
Joschka: Er hat dich gebissen! (schüttelt sich wieder vor Lachen, boshaft-jovial grinsend)
Hugo: Aber das tut doch nichts...
(es ist Zeit, dass der bisher schweigende, vor sich hin dümpelnde, vorgestellt wird. Es ist Karl, mit blutigem Bart und einem grotesk zwischen Wahnsinn und intelektueller Überzeugung schwankendem Gesichtsausdruck)
Karl: Jede neue historische Situation verlangt von einem Revolutionär eine dialektische Analyse.
Joschka: Eine bissige Analyser! (Der Leser stellt sich jetzt das gleiche Bild wie beim letzten Einwurf Joschkas in seiner Phantasie vor, welche sowieso für die Imagination der Umstände dieses Spektakels gänzlich unabkömmlich ist)
Karl (leckt mit einer einen Ochsen stolz machenden Zunge etwas Blut von seinem verfilzten Bart): Die Darstellung der Produktivkräfte auf seiner Hand war gämzlich unleserlich. Durch die Brille, oder vielmehr das Gebiss des historischen Materialismus betrachte erst ergaben sie Sinn!
Joschka: Genau! Das Gleiche habe ich mit Bucharin gemacht. Einmal reinbeissen und der zweite Biss schmeckt schon besser. Aber die besten Happen gabs damals in Spanien. Wieviele Leute in den Dreissigern falsche Linien hatte, versteht ihr? Und ich beisste mich durch!
Hugo: Du bist ein Vorbild, meine Uniformtaschen sind deinem Scheitel nachempfunden!
Karl: Wichtig ist, den Glauben an die Revolution nicht zu verlieren. Jetzt sammeln wir Kräfte im Parlament, morgen schon ist das Proletariat bereit. So verdient jede Situation ihre besondere Aufmerksamkeit der Sozialdemokratie. Ist der Sozialdemokrat müde, dann wachsen auf dem Acker der Revolution keine Rüben!
Hugo: Nicht verstehen.
Joschka: Ich schliesse mich dem Vorredner an, bitte aber die Zensur, doch nach fragwürdigen, Trotzkistischen, Rechtsabweichlerischen oder anderen konterrevolutionären Stellen in seiner Aussage zu suchen, sie könnten durchaus unter den Tisch gefallen sein!
Karl: Hört zu! Wichtig ist vor allem, die Revolution überall zu sehen, sie aber nicht zu suchen! Ein Sozialdemokrat weiss auf den richtigen Zeitpunkt zu warten!
Lautsprecher: Vernehmen sie das nächste Mal: "Bitte, bitte lasst mich Bürger sein", eine weitere Episode unserer sozialistischen Schimären...
Hilfreich, nicht? Für mich schon, liest man sich durch geschichtliche, die Entwicklung der Gesellschaft betreffende Passagen heutiger und früherer "historischer Materialisten" oder "sozialistischer Wissenschaftler" von Marx über Lenin bis Stalin, so fällt vor allem eines auf: Eine Art Selbstbeweis der Propheten. Sagt uns der historische Materialismus, dass alles philosophische, ideologische, künstlerische eine direkte kausale Folge der ökonomischen Entwicklung ist, so bietet die Entwicklung der Sozialdemokratie, beziehungsweise ihrer Interpretation eben dieses historischen Materialismus, einen guten Beweis für nochmal eben diesen. Dies geht bis zu einer für eine so dogmatische Theorie unglaublichen Anpassungsgrad. Und die Theorie bleibt logisch konsistent, zumindest oberflächlich. Jeder der grossen Theoretiker der russischen Sozialdemokratie, Plechanow, Lenin, Trotzky und Bucharin (der ideologische Hofhund Stalins) konnte bei seinen Ausführungen auf den historischen Materialismus zählen. Er ist so relativistisch, dass am Schluss die historischen Umstände der ökonomischen Entwicklung jede Geisteshaltung rechtfertigen können. Von parlamentarischem Revisionismus über terroristische Attentate bis zu totalitärem Staatskapitalismus.
Und sogar mir könnte der historischen Materialismus dazu dienen, die ideologischen Fehler eben dieser Sozialdemokraten aus relativistisch-historischer Perspektive zu erklären, zu brandmarken oder zu rechtfertigen. Was für ein Instrument haben die Marxisten sich da geschaffen! Das theoriegewordene Uhrwerk einer harmonischen Welt, dessen letzter Schlag immer der Kommunismus sein muss! Schöne neue Welt! Für einen Marxisten kommt die Revolution immer, alles wird gut!
Eine andere Idee? Keine Theorien mehr, sie sind nur Prostituierte? Zwei Dinge, die ich aus meinem Leseausflügen in die russische Revolution gelernt haben will: Der Zweck heiligt nie die Mittel, schon gar nciht die gewalt von Lohnabhängigen gegen Lohnabhängige (Ukraine, Kronstadt, Spanien, Ungarn, Prag, Polen...) Und dann noch: Herrschaft korrumpiert, und Institutionen generieren Herrschaft, also machen wir eine neuen Theorie, mit möglichst schönem Namen: anarchokommunistischer Postinstitutionalismus?
Schönes neues Jahr, es gibt bestimmt eine Revolution, da bin ich sicher!
Samstag, 5. Januar 2008
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